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Beitrag vom 29.06.2012
Das Haus auf Korsika - ein Film von Pierre Duculot. Kinostart 12. Juli 2012
Katarina Wagner
Vergebliche Arbeitssuche und Familienzank bestimmen Christinas monotones Leben. Dann erbt sie plötzlich ein Haus. Ein unaufhaltsamer Tatendrang bricht in ihr los. Es ist vielleicht ihre einzige...
... Chance, endlich etwas zu wagen und ihrem Leben eine Richtung, einen Inhalt zu geben
Christina ( Christelle Cornil) lebt in Charleroi. Die niederländische Zeitung De Volkskrant nennt sie die "Hässlichste Stadt der Welt". Das ehemalige Zentrum der Kohle- und Stahlindustrie Walloniens hat schwer unter dem Strukturwandel gelitten - übrig geblieben sind vor allem Arbeitslosigkeit und Tristesse. Die Tatsache, dass Christina Bildende Kunst studiert hat, wirkt fast absurd komisch und verdeutlicht tragisch, dass sie nicht dorthin gehört.
Die 30-Jährige lebt seit zehn Jahren mit ihrem Freund Marco zusammen, der in der Pizzeria seines Vaters arbeitet. Dort jobbt auch die Protagonistin als Aushilfskraft. Etwas Besseres wird sie in Charleroi nicht finden. Trotzdem weigert sie sich, wie ihre Verwandten zu resignieren und sich verbittert mit ihrer Lage abzufinden.
Als Christina unerwartet von ihrer Großmutter ein Haus auf Korsika erbt, ist sie die einzige, die nicht sofort daran denkt, es am besten schnell zu verkaufen. Sie allein kann darin noch eine spannende Möglichkeit für einen Neuanfang sehen und ist neugierig, was es mit diesem Haus auf sich hat, von dem niemand etwas wusste.
Nach einer Feier im Restaurant des Schwiegervaters wird ihr bewusst, dass Marco nicht daran denkt, mit ihr nach Korsika zu fahren und die Steinhütte zu besichtigen. Von einem Moment auf den anderen beschließt sie, nicht nach Hause, sondern direkt auf die Mittelmeerinsel zu fahren. Bahnhof, Zug, Fähre und schon steht sie am nächsten Morgen auf korsischem Boden.
Dieser abrupte Aufbruch überrascht nicht nur ihre Familie und ihren Freund sondern auch die ZuschauerInnen. Plötzlich ist Christina tatsächlich in ihrem Outfit von letzter Nacht auf der Insel gelandet. Sie hat es einfach getan.
Dann muss die Heldin allerdings einsehen, dass sie nichts über die Region weiß und auf viel Hilfe angewiesen ist. Von den DorfbewohnerInnen wird die Städterin aus dem fernen Belgien erst belächelt, dann aber doch herzlich aufgenommen. Christina erfährt endlich die ganze Geschichte ihrer Großmutter, lernt den stillen aber attraktiven Schäfer Pascal kennen und beschließt letztendlich die Hütte wieder herzurichten und auf Korsika ein neues Leben anzufangen. Es ist zwar alles nicht so einfach, aber sie will sich nie vorwerfen müssen, es nicht versucht zu haben.
Pierre Duculot erzählt in seinem ersten Spielfilm von der Sehnsucht nach einem einfacheren Leben ohne die perspektivlose Tristesse und Bürokratie der Stadt und frei von einengenden Familienbanden. In Zeiten der bröckelnden sozialen Sicherheit und prekären Arbeitsverhältnisse ist Christina wohl nicht die einzige mit diesem Wunschtraum: Ein Haus in den Bergen, eine Arbeit im Dorf und im Sommer den Hirten mit dem Käse helfen.
Das Leben auf Korsika ist nicht immer nur idyllisch.
In einer Schlüsselszene fragt Christina den Schäfer, was wohl die Ökos dazu sagen würden, dass er mit seinem Jeep zu den Sommerweiden fährt. Pascal antwortet nüchtern: "Hier gibt es keine Ökos."
Die DorfbewohnerInnen führen kein idealisiertes Bio-Landleben. Sie sind keine "Lohas" (Life of Health and Sustainability), die aus romantischem Zurück-zur-Natur-Gefühl in die Berge gezogen sind und sich zusammenreißen müssen, nicht über den schlechten Mobilfunk-Empfang zu nörgeln. Sie müssen hart arbeiten, um ihre Rechnungen zu bezahlen und bleiben auch im Winter auf der bergigen Insel, wenn die TouristInnensaison vorbei ist und der Bus nicht mehr fährt.
Obwohl die Belgierin anfangs auch eher von einem Sommerhäuschen träumte, lässt sie sich nicht entmutigen. Es ist ein langer Prozess, welcher der spontanen Entscheidung zum Neuanfang folgt. Christina ist nicht von einem Tag auf den anderen eine völlig neue Frau, sondern muss sich langsam an ihr neues Leben herantasten.
AVIVA-Tipp: Korsika ist wunderschön. Das muss einfach gesagt werden, ist aber nicht die Botschaft des Films. Es geht darum, Abenteuer zu wagen. "Doch" zu sagen, wenn andere meinen, es sei unmöglich oder unvernünftig. Das authentische Spiel der DarstellerInnen und die atmosphärischen Kulissen ergeben einen Film, der sehr nah am Leben ist: Nichts wird romantisiert, Hindernisse nicht durch Wunder beseitigt, sondern Schritt für Schritt angegangen.
Zur Hauptdarstellerin
Christelle Cornil wurde 1977 in Brüssel geboren. Dort absolvierte sie das Conservatoire Royal und erhielt 2001 den ersten Preis für Dramatische Kunst. Im selben Jahr bekam sie ihre erste Filmrolle. An der Seite von Benoit Poelvoorde spielte sie in "Le vélo de Ghislain Lambert". Es folgten etwa 50 große und kleinere Rollen in Fernseh-, Lang und Kurzfilmen. 2011 gewann sie den belgischen Filmpreis "Magritte" für die beste Nebenrolle in dem Film "Illégal" von Olivier Masset-Depasse. Weitere Auszeichnungen erhielt die Schauspielerin für ihre Leistungen in den Kurzfilmen von Pierre Duculot, so den Preis für die beste Darstellerin im Pariser Filmfestival "Le Court en Dit Long". 2011 war sie in der Produktion "Un fil á la patte" des Théâtre Le Public auch auf der Bühne zu sehen.
Zum Regisseur
Pierre Duculot wurde 1964 in Lüttich geboren. Er war als Journalist, Lehrer und Filmproduzent tätig, bevor er 2006 seinen ersten Kurzfilm "Dormir au chaud" drehte. Dieser wurde auf fast hundert Festivals gezeigt und Duculot erhielt den Großen Preis in der Kategorie "Junge Autoren aus Europa" beim internationalen Filmfestival in Amiens. 2007 folgte "Dernier Voyage", der Publikumspreise in Amiens, Belo Horizonte und Sienna gewann. "Das Haus auf Korsika" ist sein erster Spielfilm. Die Insel kennt er selbst sehr gut und wollte sie von ihrer weniger bekannten Seite zeigen.
Das Haus auf Korsika
Originaltitel: Au cul du loup
Buch und Regie: Pierre Duculot
DarstellerInnen:
Christelle Cornil (Christina)
François Vincentelli (Pascal)
Marijke Pinoy (Annette, Christinas Mutter)
Roberto D’Orazio (Alberto, Christinas Vater)
Jean-Jacques Rausin (Marco)
Pierre Nisse (Tony)
Cédric Eeckhout (Cédric)
Marie Kremer (Ariane)
Marcelle Stefanelli (Flora)
Didier Ferrari (Félix)
Kamera: Hichame Alaouié
Schnitt: Susana Rossberg, Virgine Messiaen
Kostüm: Gaëtane Paulus
Ton:Quentin Collete
Produktion: Need Productions – Denis Delcampe
Perspective Films – Isabelle Mathy
Co-Produzenten: Ufilm – Adrian Politkowski, Gilles Waterkeyn
Belgien / Frankreich 2011
Farbe, 82 Min.
Deutsche Fassung und OmU
Verleih: Schwarz-Weiss Filmverleih
Starttermin: 12. Juli 2012
Weitere Infos unter:
www.dashausaufkorsika.de
www.auculduloup.be
www.schwarzweiss-filmverleih.de
Weiterhören auf AVIVA-Berlin:
Barbara Carlotti – L´Ideal
Weitersehen auf AVIVA-Berlin:
Die Schachspielerin – ein Film von Caroline Bottaro mit Sandrine Bonnaire. Die DVD